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Zeitenwende in der Rüstungsindustrie: So gelingt der Richtungswechsel

24. Juli 2023

Die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene „Zeitenwende“ als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine ist eine Chance für die deutsche Rüstungsindustrie. Die angekündigten Investitionspakete für die Bundeswehr und der Fokus auf die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung stellen Rüstungsunternehmen hohe  Umsatzsteigerungen  in Aussicht. Doch damit es dazu kommt, müssen sich die Unternehmen wieder vermehrt auf den heimischen Markt konzentrieren und auf verschiedenen Handlungsfeldern Veränderungen anstoßen: Die bestehende Hochtechnologieführerschaft muss ausgebaut, das Produktportfolio stärker standardisiert und die Produktion skaliert werden. Darüber hinaus sind Risk Management und Bid Management zu verbessern, um auf große Ausschreibungen vorbereitet zu sein.
 

Erhöhung der Verteidigungsausgaben als Antwort auf Russlands Invasion

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind die Verteidigungsausgaben Deutschlands in Relation zum BIP lange Zeit kontinuierlich gesunken und unter dem Eindruck der russischen Annexion der Krim und des daraufhin gesetzten 2%-Ziels der NATO im Jahr 2014 nur moderat wieder angestiegen. Der Angriff Russlands am 24.02.2022 auf das Nachbarland Ukraine markiert einen Wendepunkt. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach kurz nach dem Angriff von einer „Zeitenwende“ und verabschiedete mit seiner Regierung ein „Sondervermögen“ i. H. v. 100 Mrd. € zur Stärkung der Landesverteidigung und Bündnisfähigkeit Deutschlands.[1] Allerdings: Die 100 Mrd. € werden bei Weitem nicht reichen. Dem Bundeswehrverband zufolge werden bereits 30 Mrd. € benötigt, um die fehlenden Bestände an Munition aufzufüllen.[2] Zudem hat die Inflation seit dem letzten Jahr den Realwert des Paketes bereits signifikant gesenkt. Um den Investitionsstau bei Waffen und Ausrüstung zu beheben, dürften deutlich mehr finanzielle Mittel notwendig sein. Auch wurde das Sondervermögen bisher kaum abgerufen und kam noch nicht in Form von Großaufträgen bei der Rüstungsindustrie an.[3]


Notwendige Maßnahmen der Politik

Wenn die Bundesregierung nun nachhaltig und glaubhaft signalisieren möchte, ein verlässlicher Bündnispartner zu sein, mit einer Bundeswehr, die ihrem Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung nachkommen kann, müssen:

  • der Investitionsstau beseitigt,
  • der Verteidigungshaushalt langfristig oberhalb der 2 % des BIP stabilisiert, 
  • Beschaffungsprozesse sowohl politisch als auch administrativ vereinfacht und beschleunigt sowie
  • Planungssicherheit für Rüstungsunternehmen mittels langfristiger Rahmenverträge gewährleistet werden.

Die heimische Rüstungsindustrie lässt sich nach Jahren des Sparkurses allerdings nicht einfach „hochfahren“. Dies liegt auch in der speziellen Beschaffenheit des Rüstungsmarktes begründet, wo ein Oligopol aus wenigen, großen Rüstungsunternehmen einem einzigen Absatzpartner – der Bundesregierung – gegenübersteht (die neben der Ausstattung der eigenen Streitkräfte mittels des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sowie bei besonders bedeutenden Ausfuhrvorhaben mittels des Bundessicherheitsrats auch über den Export in Drittländer entscheidet).[4]

Sollten der angekündigten Zeitenwende tatsächlich die politischen Taten folgen, der Investitionsstau in der Bundeswehr behoben und die Bundeswehr dauerhaft so ausgestattet werden, dass sie ein verlässlicher Partner zur Landes- und Bündnisverteidigung innerhalb der NATO ist, so muss sich die deutsche Rüstungsindustrie jetzt darauf vorbereiten.


Wie Rüstungsunternehmen die Zeitenwende meistern können

Die Rüstungsindustrie ist eine Hightech-Industrie. Vom einfachen Sturmgewehr bis zu Panzer, U-Boot oder Drohne – in jedem Rüstungsgut stecken Jahre der Forschung und Entwicklung, und die Chancen der Digitalisierung müssen auch hier genutzt werden. In den schrumpfenden Gesellschaften der westlichen, mehrheitlich demokratisch geprägten Welt wird man die Verteidigungsfähigkeit nur mittels technologischer Überlegenheit und guter Ausrüstung sicherstellen können. Investitionen in Forschung und Entwicklung und der Ausbau der bestehenden Technologieführerschaft der deutschen Rüstungsindustrie sind somit unausweichlich.

Die Engagements der Bundeswehr seit Ende des Kalten Krieges stellten spezialisierte Einsätze dar – beispielsweise die Luftschläge im Jugoslawienkrieg oder die sehr infanteristisch geprägte Mission in Afghanistan mit vergleichsweise begrenzten Ressourcen. Für die Landes- und Bündnisverteidigung müssen angesichts einer Bedrohungslage durch Russland dagegen andere Dimensionen an Verteidigungsfähigkeit sichergestellt werden. Es bedarf einer Standardisierung des Produktportfolios, um einerseits Kostendegressionseffekte zu erzielen und die Wettbewerbsfähigkeit bei Großaufträgen zu gewährleisten und andererseits Verbundvorteile mit den Bündnispartnern sowohl in der Rüstungsproduktion als auch in der militärischen Kooperation auszuschöpfen. Denn die hohe Kompatibilität eigener Waffensysteme mit den Systemen der Bündnispartner ist im Bündnisfall von hoher Relevanz. Monopolistischer Wettbewerb wird unter diesem Aspekt zwar schwieriger und die Preissetzungsmacht der Unternehmen geringer, dies wird allerdings durch höhere Volumina kompensiert.

Mit stärkerer Standardisierung geht auch eine verbesserte Skalierung der Produktion einher. Kostendegressionseffekte müssen realisiert werden und Großaufträge neuen Ausmaßes verlässlich und profitabel abgearbeitet werden. Das impliziert unter anderem:

  • die Erhöhung von Produktionskapazitäten (Rheinmetall hat angekündigt, eine neue Munitionsfabrik in Deutschland zu bauen),
  • die Optimierung des Working Capital,
  • die Vergrößerung und ggf. auch Umgestaltung der Organisation sowie
  • die Sicherstellung der Beschaffung durch die Erweiterung des Zuliefererkreises.

Die Corona-Pandemie, zerstörte Lieferketten, der russische Angriff auf die Ukraine und die starke Inflation haben zahlreichen Unternehmen die Relevanz guten Risikomanagements schmerzhaft vor Augen geführt. Für die hochspezialisierte Rüstungsindustrie gilt dies im Besonderen, da sicherheitspolitische Risiken und Risiken entlang der Lieferketten starke Auswirkungen haben können. Die ständige Verbesserung des Risk Managements ist daher Voraussetzung dafür, auch im Krisenfall Lieferzusagen einhalten zu können, ohne dabei rote Zahlen schreiben zu müssen.

Zuletzt müssen die Großaufträge auch gewonnen werden – sowohl gegen die inländische Konkurrenz als auch gegen die Konkurrenz in Bündnisländern. Eine Optimierung des Bid Managements trägt dazu bei, einerseits die Chancen für den Zuschlag bei großen Ausschreibungen zu erhöhen und andererseitszu gewährleisten, dass der gewonnene Auftrag auch profitabel bearbeitet werden kann. Hierzu bedarf es unter anderem exzellenter Datenverfügbarkeit, um Transparenz über die Produktionskosten und -kapazitäten angesichts hoher Stückzahlen zu schaffen. Zudem braucht es eine Projektorganisation, die abseits des Regelbetriebs zügig und flexibel die entsprechenden Angebote erstellen kann. Eine beratende Rolle des Vertriebs gegenüber dem Beschaffer kann es außerdem erleichtern, Informationsasymmetrien auf beiden Seiten abzubauen und dem etwaigen Kunden die passende Lösung anbieten zu können.


Bereit für die Zeitenwende?

Die angekündigte Erhöhung der Verteidigungsausgaben stellt Unternehmen der deutschen Rüstungsindustrie ein enormes Umsatzpotenzial in Aussicht. Auch wenn den politischen Ankündigungen noch Taten folgen müssen, muss der Wandel innerhalb der Unternehmen bereits jetzt angestoßen werden, um die benötigten Kapazitäten gegebenenfalls auch bedienen zu können. Nur so können Rüstungsunternehmen einen wertvollen und wirtschaftlich lukrativen Beitrag für die Sicherheit Deutschlands und seiner Bündnispartner leisten – und die politische Zeitenwende auch industriell erfolgreich umsetzen.

Autoren:
Dr. Wolfram Römhild, Managing Director (Email)
Dr. Johannes Blum

 

Quellen:

[1] https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Video/2022/2022-05-30-lindner-sondervermoegen-bundeswehr/2022-05-30-lindner-sondervermoegen-bundeswehr.html, abgerufen am 04.07.2023

[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/munitions-gipfel-im-kanzleramt-so-schnell-geht-das-nicht-a-61a020b2-5ce4-49e2-bfb8-3b8b9a3a36e7 ,abgerufen am 04.07.2023

[3] https://www.nzz.ch/international/zeitenwende-scholz-will-deutsche-ruestungsindustrie-staerken-ld.1728549, abgerufen am 04.07.2023
Der Haushalt 2024 ist der Lackmustest für die Zeitenwende in der Bundeswehr (handelsblatt.com), abgerufen am 04.07.2023

[4] Siehe hierzu: Blum, J. 2019. “Arms Production, National Defense Spending and Arms Trade: Examining Supply and Demand.” European Journal of Political Economy 60, 101814.